Pferdefleisch-Skandal: Erste Warnungen vor einem Jahr wurden nicht ernstgenommen

Wie die englische Zeitung The Telegraph in einem ausführlichen Artikel zu den Zusammenhängen des Pferdefleisch-Skandals schreibt, hat es erste Warnungen über den Betrug mit Pferdefleisch bereits vor rund einem Jahr geben. Nach den Recherchen der Zeitung wurde die englische FSA (Food Standard Agency) bereits am 1. Februar 2012, am 15. Februar 2012 und am 7 März 2012 darüber informiert, dass Pferdefleisch aus Ungarn und Dänemark unter das Rindfleisch gemischt werde und zur Verarbeitung nach Italien verschoben werde.

Man glaubte, dass man das Fleisch aus dem Verkehr gezogen habe, aber es gab auch Berichte, nach denen das Fleisch zum Verzehr durch Menschen auch nach Belgien, Dänemark und Frankreich geliefert worden sei. Die vertraulichen Mitteilungen gingen an Email-Adressen der FSA und anderer offizieller Stellen, darunter Zollbehörden, Gesundheitsbehörden und an zwei Vertreter Englands in Brüssel.

Die FSA sagte nach dem Zeitungsbericht gestern, man habe auf die Warnungen nicht reagiert, weil man nicht davon ausgegangen wäre, dass das Fleisch auch nach Großbritannien geliefert werden würde.

Interessant ist auch ein anderer Weg des Pferdefleisches: Die USA exportieren jedes Jahr eine große Anzahl von mit Medikamenten behandelten Pferden nach Mexiko und Kanada. Dort werden diese geschlachtet und das Fleisch wird nach Europa exportiert. Manche dieser Medikamente sind für Menschen gefährlich.

Britische Behörden haben auch die Information ihrer Kollegen in Frankreich und den Niederlanden erst Monate zu spät vorgenommen, als längst klar war, dass aus Großbritannien stammendes Pferdefleisch mit Phenylbutazon exportiert worden war. Dieses Fleisch hat im Sinne des freien europäischen Marktes seinen Weg auch zurück nach Großbritannien genommen. Von den 8000 bis 9000 zum Verzehr von Großbrittanien exportierten Pferden waren nur 68 in 2011 überhaupt auf das Medikament getestet worden.

Ein Sprecher der niederländischen Ernährungssicherheitsbehörde sagte: „Das schnelle Alarmsystem soll genau das sein: schnell. Leider kann man nach 9 Monaten kaum noch sagen, was mit dem Fleisch passiert ist. Es wurde vielleicht bereits verzehrt oder es liegt irgendwo tiefgekühlt und wartet auf die Verarbeitung.“

Seit 2006 hatte es eine Pferde-Datenbank in England gegeben, die alle Details über rund eine Million englischer Pferde enthielt. Doch diese Datenbank wurde im September letzten Jahres geschlossen und nicht mehr gepflegt, weil die Mittel vom Landwirtschaftsministerium dafür gestrichen wurden.

Eine weitere Entwicklung auf europäischer Ebene hat den jetzigen Skandal ermöglicht: In 2006 wurden europaweit die Fleischkontrollen gelockert. Vorher gab es tägliche Inspektionen in allen Schlachthäusern, wo Tiere verarbeitet werden. So waren diese Inspektionen möglich, bevor das Fleisch in Fertiggerichten oder Fleischprodukten verschwand. Nach der Lockerung der Bestimmungen meldeten sich die Inspektoren der FSA vor ihren Besuchen an, teils sogar zwei Monate im voraus. Das gab den Schlachthäusern und Fleischverarbeitern Gelegenheit, sich optimal auf den Besuch der Inspektoren vorzubereiten.

Ein sehr interessantes Statement kommt von Marc Price, dem Vorstandsvorsitzenden von Waitrose, einer etwas höherpreisigen Supermarktkette, die als einzige vom Pferdefleisch-Skandal nicht betroffen ist: „Wenn Familien sichere und echte Lebensmittel möchten, müssen sie sich davon verabschieden, dass dieses billig ist.“

Er sagte auch, dass das Testen von Lebensmitteln und die Herkunftsverfolgung für das Vertrauen der Verbraucher in die Lebensmittel unabdingbar seien.  Er sagt, dass seine Kette sich genau daran gehalten habe, aber nicht jeder in der Lebensmittelindustrie so vorsichtig sei. Price sagte: „Wenn Fleisch einfach blind gekauft oder über das Internet in großen Mengen geordert wird ist es natürlich sehr schwierig, die gleiche Sicherheit zu erwarten, die man hat, wenn man volles Wissen über das Fleisch und seine Herkunft hat.“

So hatte Konkurrent Tesco vor einer Woche einräumen müssen, dass das Fleisch im Fertigprodukt Spaghetti Bolognese der Eigenmarke TESCO Everyday Value“ zu 100 Prozent Pferdefleisch gewesen sei, obwohl auf der Packung ausschließlich von Rindfleisch die Rede ist und sogar Rinder stilisiert auf der Packung aufgedruckt sind. Und das in einer Marke von TESCO selbst…

Der brutale Preiskampf im Lebensmittelhandel sorge dafür, dass jeder noch billiger sein wolle und das habe natürlich schon auch einen direkten Einfluss auf die Produktqualität. Es würden die billigeren Rohstoffe verwendet, in Spearmint-Kaugummi ist noch weniger Minze, der Schokoladenüberzug bei den Keksen wird noch dünner und so werden die Produkt-Spezifikationen den geringeren Preisen weiter angepasst. Und so wird auch beim Fleisch-Einkauf weniger auf die Herkunft geachtet, als auf den Preis. Und das eingehende Fleisch wird entgegen der Werbeaussagen halt nicht regulär geprüft, sondern nur noch in Stichproben und in größeren Abständen…

In England laufen mittlerweile Tests bei den Fleisch-Lieferanten der Gastronomie, denn auch hier wurde den Verbrauchern teils Pferdefleisch als Rindfleisch verkauft. Betroffen sind hier auch bekannte Namen, wie British Airways, Harrods, Marks & Spencer, Cafè Rouge, Bella Italia, Strada und das Sandwich-Unternehmen Pret A Manger.

(Markus Burgdorf)

 

 

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Markus Burgdorf arbeitet nach journalistischer Ausbildung seit 1989 in Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit. Als Leiter Öffentlichkeitsarbeit großer Automobilzulieferer und Berater von Unternehmen verschiedener Branchen hat er mehrere Rückrufe erfolgreich durchgeführt. Heute berät er Unternehmen in Risikoprävention und in akuten Krisenfällen.

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