Warum es immer mehr Rückrufaktionen gibt – Gastbeitrag von Franz W Rother

Gastartikel von Franz W. Rother, stellvertretender Chefredakteur der Wirtschaftswoche

Diesmal ist es Toyota, wieder einmal. Der japanische Autohersteller ruft in diesen Tagen rund 6,39 Millionen Fahrzeuge in die Werkstätten. Bei zwei Kleinwagen könnte es ein Problem mit dem Fahrersitz geben. Bei Kleinwagen, die zwischen 2005 und 2010 produziert wurden, hat der Zulieferer in dem Scharnier, mit dem sich die Neigung der Rückenlehne anpassen lässt, offenbar zu schwach dimensionierte Federn verbaut. Die Folge: Wird der Sitz zu oft verstellt, kann die Feder brechen – der Fahrer hätte, wenn er sich nicht gerade an das Lenkrad klammert, dann keinen Halt mehr und könnte nach hinten wegkippen.

Bei zwei anderen Kleinwagenmodellen wurden an den Metallwinkeln gespart, die die Lenksäule halten. Folge: Beim Lenken kann es zu Knackgeräuschen kommen. Im schlimmsten Fall stellt sich beim Fahrer ein schwammiges Lenkgefühl ein. Von der Rückrufaktion sind schließlich auch noch zwei kleine Geländewagen betroffen, die zwischen 2004 und 2010 auf den Markt kamen. Sorge bereitet hier die Isolierung von Spiralkabeln im Lenkrad, mit denen der Airbag an das Bordnetz angeschlossen ist. Im schlimmsten Fall kann dies zu einem führen – bei einem Unfall würde der Airbag dann nicht auslösen.

Kleine Ursache, große Wirkung. Weil vor Jahren bei der Beschaffung von Teilen nach zähen Verhandlungen mit den Zulieferern einige Sen gespart wurde, muss der Konzern nun mit Millionenaufwand eine weltweite Rückrufaktion organisieren, kostenlos die betreffenden Teile austauschen und dafür auch die Werkstätten bezahlen. Was die jüngste Rückrufaktion in der Toyota-Geschichte letztlich kosten wird, ist noch nicht ermittelt. Es darf jedoch getrost angenommen werden, dass unter dem Strich – und umgerechnet in Euro – ein neunstelliger Betrag dabei herauskommt. Eine ähnlich große Rückrufaktion hatte Toyota vor vier Jahren nach eigenen Angaben insgesamt 180 Milliarden Yen, umgerechnet 1,4 Milliarden Euro gekostet.

Schadenfreude über die Meldungen aus Japan dürfte bei den Spitzenmanagern europäischer oder nordamerikanischer Automanager allerdings nicht aufkommen. Denn sie haben – wie General Motors, Ford, Opel, LandRover oder Volkswagen – entweder gerade selbst Rückrufaktionen zu organisieren. Oder sie müssen damit rechnen, dass sie eine auffällige Häufung von Defekten an neuen oder älteren Autos dazu zwingt, tätig zu werden. In Zeiten des Internets, von aufmerksamen Verbraucherportalen und Verbraucherschützern, kann es sich kein Hersteller von Massenprodukten mehr leisten, technische Mängel zu vertuschen oder Rückrufaktionen zu verschleppen.

General Motors bekommt dies gerade in den schmerzlich zu spüren. Der Konzern hatte jahrelang bei einigen Fahrzeugen Zündschlösser des Zulieferers verbaut, bei denen ebenfalls eine kleine Feder zu schwach dimensioniert war. Während der Fahrt konnte der Schlüssel im Zündschloss deshalb leicht in die Aus-Position springen und so den , aber auch die Airbags deaktivieren. Der Konzern muss nun auf eigene Kosten über eine Million Autos in die Werkstätten zurückbeordern und sie dort auf eigene Kosten mit neuen Zündschlössern ausstatten, bei denen jene Rückholfeder 1,6 Millimeter stärker ausfällt. Es drohen zudem zahlreiche Schadenersatzklagen und .

Ob Toyota, General Motors oder Volkswagen – wo 160.000 Fahrzeuge werden mussten, weil Scheinwerfereinfassungen so schwach dimensioniert waren, dass beim Zuschlagen der Motorhaube das Licht ausfallen konnte: Die Ursachen der Rückrufaktionen liegen meist nicht in der Fahrzeugentwicklung, sondern im Einkauf. Der Kostendruck ist in den vergangenen Jahren in der Autoindustrie nochmals massiv gestiegen. Preiserhöhungen lassen sich am Markt kaum mehr durchsetzen, Wachstum lässt sich auf den gesättigten Märkten in Japan, Nordamerika und Europa nur noch durch eine Verdrängung von Wettbewerbern erzielen – am besten über den Preis.

Also wird an den Teilen gespart, wo immer es geht und wo es der Kunde es – erst einmal – nicht sieht oder spürt. Die Einkäufer von GM etwa hatten den Zulieferer Delphi zur Jahrhundertwende massiv unter Druck gesetzt, die Preise für Zündschlösser massiv zu drücken, idealerweise auf -Preisniveau. Da man die Teile in großen Stückzahlen in einer ganzen Reihe von Fahrzeugen einzusetzen gedenke, lockte man den Zulieferer, bleibe unter dem Strich immer noch ein Gewinn.

Aus dem Segen der Skaleneffekte – bei einem hohen Produktionsausstoß verteilen sich die anfallenden Gesamtkosten auf mehr Produktionseinheiten – wird so ein Fluch: Tritt bei einem Teil ein Fehler auf, multipliziert sich die Wirkung des Fehlers entsprechend den Liefermengen. Die Folge: Es steigt nicht nur die Zahl der Rückrufaktionen, sondern auch die der betroffenen Fahrzeuge und damit die Gesamtkosten. Das sollten all die Fahrzeughersteller bedenken, die sich gerade an den Skaleneffekten von Plattform- und Gleichteilestrategien berauschen: Ohne ein ausgeklügeltes Qualitätsmanagement in der Produktion, ohne strenge Eingangskontrollen von angelieferten Teilen – und ohne eine faire Teilhabe der Zulieferer an den ordentlichen Gewinnen, die trotz des beinharten Wettbewerbs immer noch im Autogeschäft erzielt werden, führt jede Wachstumsstrategie geradewegs ins Verderben.

 

Über Franz W. Rother 2 Artikel
Franz W. Rother ist stellvertretender Chefredakteur der Wirtschaftswoche. Der studierte Politologe fing beim Kölner Stadt-Anzeiger als Polizeireporter an, war danach Reporter bei der "Auto-Zeitung", Nachrichtenmann beim Deutschlandfunk, Technik- und Unternehmensredakteur bei der WirtschaftsWoche mit einem ausgeprägten Faible für Autothemen. Er hob in Bayern die "Automobilwoche" aus der Taufe und war fünf Jahre lang Chefredakteur der Fachzeitung, ehe er ins Rheinland und zur Wiwo zurückkehrte.

1 Kommentar

  1. Zuerst einmal, ein sehr schöner Artikel.
    Zum anderen wie letzte Woche bei meinem Opel Combo C geschehen, hat eben solch eine Spaarmaßnahme an einem Kühlwasseranschluß der Wasserpumpe zu einem kapitalen Motorschaden geführt. Leider gibt es für dieses Bauteil keine Rückrufaktion seitens des Herstellers, obwohl dieser Anschluß bei 90% aller mit diesem Motor ausgestatteten Fahrzeuge abbricht. 1,4/1,6 16V Motor.

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