Bullshit-Bingo bei Produktrückrufen nimmt weiter zu

Die beliebtesten Formulierungen aus Rückruf-Pressemitteilungen im Check

Mit diesen Begriffen wird jeder Rückruf eines gefährlichen Produktes verharmlost und es wird vom wahren Kern der Nachricht abgelenkt.
Mit diesen Begriffen wird jeder Rückruf eines gefährlichen Produktes verharmlost und es wird vom wahren Kern der Nachricht abgelenkt.

Wer sich – wie wir – jeden Tag mit Produktrückrufen und Serviceaktion beschäftigt, sieht auch jeden Tag diese besondere Sprache der Kundeninformationen und Presseinfos zu Rückrufen. Dabei ist es mittlerweile schon egal, wie gefährlich der Produktfehler für den Nutzer und Kunden werden kann. Man findet immer die gleichen verharmlosenden und imageförderlichen Satzbausteine.

Tatsächlich vermitteln die gewählten Formulierungen den Eindruck, es sei gar nicht so gefährlich. Sie verharmlosen die Gefahr und versuchen, die Fakten so darzustellen, dass das betreffende Unternehmen und die Handelspartner in einem guten Licht dastehen.

So haben wir spontan entschieden, eine Hitliste der fünf am Häufigsten genutzten Bullshit-Formulierungen aus Rückruf-Pressemitteilungen zu extrahieren. Mit diesen kann man vortrefflich jede Presseinformation ausschmücken – manche Medien fallen darauf rein und übernehmen das dann auch so.

Mit diesen Begriffen wird jeder Rückruf eines gefährlichen Produktes verharmlost und es wird vom wahren Kern der Nachricht abgelenkt.
Mit diesen Begriffen wird jeder Rückruf eines gefährlichen Produktes verharmlost und es wird vom wahren Kern der Nachricht abgelenkt.

Unsere Meinung ist eine andere: Wenn Gefahr im Verzug ist und Kunden durch den Verzehr oder Gebrauch eines Produktes verletzt, infiziert oder gar getötet werden können und wenn von einem Lebensmittel oder einen Produkt eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, dann ist es die Pflicht des Herstellers ohne Beschönigung und ohne Bullshit-Formulierungen darüber zu informieren.

Jeder von uns wird täglich mit tausenden Botschaften überschüttet. Um das Wichtige vom Unwichtigen trennen zu können, brauchen die Rezipienten, also die Empfänger einer Botschaft, eine klare Formulierung.

Die Hitliste:

Aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes ruft die Firma X vorsorglich das Produkt Y zurück.

Es ist kein vorbeugender Verbraucherschutz, wenn bei einem Produkt ein Problem festgestellt wurde. Der „vorbeugende Verbraucherschutz“ wäre gewesen, dieses Problem vor Auslieferung des Produktes zu erkennen, zum Beispiel durch Metalldetektoren oder eine wirkungsvolle Qualitätsprüfung.

Ein Rückruf ist für das Unternehmen eine Krise, da macht man nichts „vorsorglich“, sondern allein nach Abwägung der bestehenden Risiken. Wenn auch nur ein Kunde durch ein fehlerhaftes Produkt getötet oder verletzt werden könnte, ist ein Rückruf eine conditio sine qua non, also eine Maßnahme, die durchgeführt werden muss. Mit Vorsorge hat das weniger zu tun, viel mehr mit dem Ausschluß von Haftungsrisiken.

Es ist nicht auszuschließen, dass in einzelnen Packungen…

Tatsächlich hat man in Packungen bereits etwas gefunden, zum Beispiel Glassplitter oder Metallteile. Wer jemals auf einen harten Fremdkörper in einem Lebensmittel gestoßen ist, weiß, dass solche Fremdkörper ein erhebliches Verletzungsrisiko verursachen. Damit ist also nicht zu spaßen. Und da der Hersteller nicht wissen kann, in welcher Packung diese Fremdkörper noch enthalten sein können, ist die Verharmlosung hier fehl am Platze.

In seltenen Fällen…

Mir ist es egal, ob ich ein seltener Fall werde. Tatsache ist, dass ein Fehler bereits dokumentiert wurde und jeden weiteren Kunden betreffen kann, der das Produkt nutzt oder das Lebensmittel konsumiert. Tatsächlich stimmt die Aussage in den meisten Fällen, wo es um Fremdkörper in Lebensmitteln geht, sogar. Denn diese Fremdkörper werden nicht in der Menge eingebracht, wie das Fließband das Produkt verpackt. Dennoch kann jeder einzelne Fall für die betroffene Person schwere Verletzungen bedeuten.

Im Bereich Automobil wird diese Aussage auch gerne benutzt. Dazu muss man wissen, dass ein Rückruf erst dann durchgeführt wird, wenn sich die Rückmeldungen mehren und man bei Nachuntersuchungen festgestellt hat, dass tatsächlich ein Problem vorliegt. Und da ist es dann auch egal, ob nur 100 von 10.000 verbauten Heckspoilern sich lösen und dem nachfolgenden Verkehr als tödliches Geschoss entgegenfliegen.

Wir haben umgehend reagiert und aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes die Ware vorsorglich aus dem Verkauf genommen.

Das sollte man erwarten können. Eine Selbstverständlichkeit, auf die man nicht noch mal explizit hinweisen muss. Vorbeugender Verbraucherschutz ist das genausowenig, wie vorsorglich. Schließlich handelt man hier auch im Eigeninteresse, denn ein potenziell gefährliches Produkt im Verkauf zu lassen, wäre juristisch für die beteiligten Mitarbeiter höchst gefährlich.

Vorsorgemaßnahme

Auch dieses Wort findet man sehr oft in den Pressemitteilungen. Gerne in Verbindung mit dem wiederholenden Gebrauch von „vorsorglich“. Es soll der Eindruck erweckt werden, als nehme man ein Produkt vom Markt, obwohl die Gründe dafür nicht ausreichen. Gerne wird auch verwendet „um jegliche Gefährdung für den Verbraucher auszuschließen“. Das ist irreführend. Ein Rückruf – der mit hohen Kosten, Umsatzeinbußen und großen Risiken für den betroffenen Herstellerbelastet ist – wird nur durchgeführt, wenn es eine akute Gefährdungssituation für die Verbraucher gibt. Damit ist ein Rückruf keine Vorsorgemaßnahme. Die wäre es, wenn es nur einen unbestätigten Verdacht gäbe.

Zuliefererversagen

Gerne wird bei Rückrufen darauf hingewiesen, dass es sich um ein Versagen oder einen Fehler eines Zulieferers gehandelt habe. Damit schiebt man eine Schuld auf einen Geschäftspartner, der vielleicht Schrauben anliefert, Schläuche montiert oder ein Lebensmittel verpackt. Im Endeffekt ist das aber auch nur ein Versuch, denn die Verantwortung für das Gesamtprodukt trägt der Hersteller, dessen Qualitätsüberwachung frühzeitig und idealerweise vor Auslieferung oder Verkauf eines Produktes den Fehler bemerkt haben sollte.

„Musterpressemitteilung“ Rückruf

„Das Unternehmen XY (hier den Unternehmensnamen einsetzen) ruft aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes das folgende Produkt zurück: (hier Produktbezeichnung einsetzen, bei Lebensmitteln mit Charge und MHD – bei anderen Produkten Produktionszeitraum und Identnummer).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass in seltenen Fällen (hier Rückrufgrund eingeben). Ein Zulieferunternehmen hat … (hier die Schuld auf einen Geschäftspartner schieben).

Wir (hier ggf. Handelspartner eintragen) haben umgehend reagiert und aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes die Ware vorsorglich aus dem Verkauf genommen.

Verbraucher werden gebeten, das Produkt (zurückzugeben/umzutauschen/in die Werkstatt zu bringen, etc.)

Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten. Die höchste Qualität unserer Produkte, bla bla bla…“

So sehen 90% aller Pressemitteilungen aus, die derzeit zu Rückrufen versandt werden.

Ein Rückruf ist eine Krise

„Jeder Produktrückruf und jede Lebensmittelwarnung ist für das betroffene Unternehmen eine möglicherweise existenzielle Krise“, weiß Markus Burgdorf, Geschäftsführer der Agentur Avandy, die sich mit Krisenkommunikation beschäftigt, „in der Krise ist deshalb die wahrheitsgetreue und schnelle Kommunikation besonders wichtig, um das Vertrauen der Kunden nicht zu verspielen.“ Burgdorf hat bereits einige Unternehmen auf Rückruf-Situationen vorbereitet oder durch akute Produktrückrufaktionen begleitet. Er weiß, worauf es ankommt und was von betroffenen Unternehmen erwartet wird.

Unternehmen, die sich bei Rückrufen falsch verhalten und/oder irreführend kommunizieren, können daran sogar scheitern. Das Beispiel eines großen Wurstfabrikanten aus Bayern im Jahr 2016 hat dies wieder eindrucksvoll gezeigt.

„Es macht Sinn, dass im Unternehmen und im Handel auch ohne aktuelle Erfordernisse die für einen erfolgreichen Produktrückruf nötigen Prozesse durchgespielt, trainiert und implementiert werden. Diese kann man dann in einem akuten Fall eines Produktrückrufs nutzen.“ so Burgdorf weiter.

Fehler in Pressemitteilungen

Presseinformationen für Produktrückrufe und Lebensmittelwarnungen sollten so gestaltet sein, dass sie besonders leicht übernommen werden können. „Wenn die Unternehmen die Rückrufmitteilung nur als PDF zur Verfügung stellen und diese dann auch noch so formatiert ist, dass der Journalist eine halbe Stunde in die Neuformatierung investieren muss, dann läuft etwas falsch“, so Burgdorf, „und wenn man dann noch lange nach einem Produktbild suchen muss oder Journalisten gezwungen sind, irgendein Bild zu nutzen, das das betroffene Produkt garnicht zeigt, dann hat das Unternehmen nichts verstanden.“

Rückruf-Experte Markus Burgdorf fordert: Rückruf-Kommunikation muss besser und effizienter werden. „Soziale Medien werden bislang kaum für die Veröffentlichung von Rückrufen genutzt und selbst auf den unternehmenseigenen Webseiten sind Rückrufmeldungen oft nicht zu finden“, fasst Burgdorf seine Erfahrungen zusammen.

Die Möglichkeiten einen Rückruf schnell zu kommunizieren, sind heute so vielfältig, wie nie zuvor. Aber die Unternehmen müssen sie auch konsequent nutzen. Und dabei eine klare Sprache sprechen, die dem Verbraucher klar signalisiert, was passiert ist und wie er sich richtig verhalten muss.

Wir entschuldigen uns – oder bitten um Verständnis

Die obligatorische Entschuldigung am Ende einer Pressemitteilung zu einem Rückruf ist meistens falsch formuliert. Da sollte es heißen „wir bitten unsere Kunden um Entschuldigung“. Tatsächlich schreiben fast alle nur „wir entschuldigen uns bei unseren Kunden“. Dabei kann die Entschuldigung nur vom Verbraucher selbst kommen – und auch nur, wenn er sich in der gefährlichen Situation nicht verschaukelt gefühlt hat.

Teilweise steht auch nur da „wir bitten um Verständnis“. Das ist dann noch schlechter als das „wir entschuldigen uns“. Denn Verständnis kann der Inverkehrbringer eines gefährlichen Produktes eigentlich nicht erwarten. Erst recht nicht, wenn er von „ständiger Qualitätskontrolle“ und/oder „höchster Qualität“ schreibt.

 

Über Markus Burgdorf 859 Artikel
Markus Burgdorf arbeitet nach journalistischer Ausbildung seit 1989 in Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit. Als Leiter Öffentlichkeitsarbeit großer Automobilzulieferer und Berater von Unternehmen verschiedener Branchen hat er mehrere Rückrufe erfolgreich durchgeführt. Heute berät er Unternehmen in Risikoprävention und in akuten Krisenfällen.

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